Kennt ihr die Geschichte vom Windigo? Er ist das Ungeheuer der Anishinaabe, der Völker im hohen Norden Amerikas, der dort in den Wäldern lebt. Vor ihm werden die Kinder gewarnt, denn ist man einmal in seinen Fängen, wird man selbst zu einem Kannibalen, dessen Hunger nicht gestillt werden kann.
Weiterlesen: Weihnachten und der KonsumDer Windigo kommt im Winter, bewegt sich mühelos durch die Schneestürme der Hungerzeit. 3 Meter groß, Arme wie Baumstämme, wunde Lippen, die er sich vor Hunger aufgebissen hat. Mit seinem faulen Gestank verpestet er die Luft. Er steht vor deiner Tür. Sieh dich vor, dass du ihm nicht aufmachst.
Er ist kein Tier, nichts aus der Natur, sondern gemacht aus unserem Hunger, unserer Gier.
Er zeigt uns, was auch in uns ist, und was wir tunlichst nicht füttern sollten, denn dieser Hunger ist nicht still bar, sondern zerstört.
„In der traditionellen Erziehung sollten diese Geschichten die Selbstdisziplin stärken und widerstandsfähig gegen den tückischen Bazillus des Zuvielnehmens machen. In jedem von uns steckt ein Windigo. Sieh das Dunkle in dir, erkenne es an, aber gib ihm keine Macht“, sagen die Anishinaabe.
In unseren Breitengraden, in unserer heutigen Zeit ist es nicht der physische Hunger, den der Windigo symbolisiert. Es ist unsere Gier nach mehr. Höher, schneller, weiter. Immer gibt es etwas, was auf unserer Wunschliste steht: neue Klamotten, Möbel, ein neues Handy oder der neueste Fernseher. Die Liste ist unendlich weiterführbar und macht mir Angst. Woher kommen all diese Sachen? Wen muss ich ausbeuten, um so viel selbst besitzen zu können? Was zerstöre ich für meinen Hunger nach mehr.
(Und das nicht nur in der Winterzeit.)
Besonders deutlich wird mir allerdings dieser Wahnsinn zur Weihnachtszeit. Ja wir alle stöhnen, wenn im September schon die ersten Spekulatius in den Supermärkten liegen, essen tun wir sie trotzdem. Ok, wir Erwachsenen haben oft schon aufgehört uns was zu schenken, aber den Kindern? Die brauchen doch Geschenke zu Weihnachten, das gehört doch dazu. Ja, ok, diese Meinung gibt es. Aber wir können entscheiden, wieviel wir ihnen schenken und ob sie wirklich alles brauchen um glücklich zu sein. Ich habe die Erfahrung gemacht, dank ihrer großartigen Eltern, dass meine Patenkinder, Nichten und Neffen mich lieben, obwohl ich wenig schenke. Und Angst, dass das anders sein könnte, hatte ich schon.
Suggeriert uns nicht das „das muss ich haben“ einen Mangel, der nicht existieren würde, wäre ich dankbar um das, was ich schon habe?
Wir entscheiden, ob wir noch schnell was holen, damit wir nicht mit leeren Händen kommen. Ist denn ein Herz voller Liebe etwa nichts? Braucht es noch ein Duschgel, eingepackt in Plastik, noch eine kleine Figur, die ein paar Wochen auf meiner Fensterbank steht und die ich dann verstaubt irgendwo hin räume?
Ich freue mich so sehr über Selbstgemachtes, über einen Brief, eine Umarmung, ein Besuch und auch über eine kurze Nachricht „ich denk an dich“.
Schenken macht Freude, maßvoll und mit Liebe.
Vielleicht verschenke ich dieses Jahr ganz viele Dankesbriefe? Dankbarkeit ist Fülle und mir scheint ein guter Schutz vor dem Windigo.